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Birgit Doeubler

Tochtersein zwischen Liebe und Befreiung


Ich will doch nur das Beste für dich, mein Kind! Es gibt wohl kaum eine Tochter, die diesen Spruch von ihrer Mutter noch nicht gehört hat. Wenn das Beste in den Augen der Mutter sich aber von den Vorstellungen der Tochter unterscheidet und diese dauerhaft nicht kann, wie sie will, sind Konflikte nicht nur vorprogrammiert, sondern auch vorhersehbar. Eine Annäherung.



Mütter und Töchter: Die intensivste zwischenmenschliche Beziehung birgt sowohl das größte Konflikt- als auch Lernpotenzial.

In einem Ratgeber zum Thema Mutter-Tochter-Beziehungen stoße ich auf einen Satz, der mich innehalten lässt: Tochter zu sein ist mir eine große Freude, und ich widme mich meiner Rolle mit viel Leidenschaft, lese ich. Wie bitte?! Ich bin selbst mit einer sehr behütenden Mutter aufgewachsen; zusätzlich behielten mich Großmutter und Urgroßmutter, die mit im Elternhaus wohnten, ständig im Auge. Tochtersein, das hatte und hat für mich in erster Linie mit Befreiung zu tun, mit Selbstbehauptung und der Herausforderung meinen eigenen Weg zu gehen. Mit Leidenschaft habe ich mich meiner Tochterrolle höchstens in energiegeladenen Konflikten gewidmet.


Tochtersein im Wandel der Zeit


Die Liebe zur Mutter auf der einen Seite, der Wunsch nach Selbstverwirklichung auf der anderen: Die innere Zerrissenheit und ihre Folgen, das ist ein recht junger Konflikt, den viele unserer Mütter und Großmütter so nicht kannten. Was ihre Mütter (und Väter) sagten war Gesetz, als Tochter hatte man zu gehorchen. Punkt. Erst die Frauenbewegungen trugen schließlich dazu bei, dass immer mehr Töchter sich ermutigt fühlten bzw. fühlen, ihre eigenen Vorstellungen vom Leben zuzulassen und ihren eigenen Weg zu gehen.


Sind heute, vor dem Hintergrund der erfolgten gesellschaftlichen Umbrüche und Neuordnungen im Familiensystem, Konflikte zwischen Müttern und Töchtern überhaupt vermeidbar? Sich von der Mutter abnabeln, Denkmuster, Glaubenssätze und Handlungsmuster hinterfragen ist ein natürlicher Prozess, der im Teenageralter beginnt und sich bis ins hohe Lebensalter hinziehen kann. Manche Frauen beginnen dann sogar erst sich damit auseinandersetzen: Die Pflegebedürftigkeit der Mutter, Erkrankungen wie Alzheimer oder Demenz stellen auch Töchter mit bis dato unbelasteten Mutterbeziehungen vor plötzliche, neue Herausforderungen.


Nun bin ich schon 33 und habe immer noch diese Probleme mit meiner Mutter! Dieser typische Satz von Freundinnen und Klientinnen lässt mich daher oft schmunzeln. Aus meiner langjährigen Tätigkeit als Therapeutin (und Tochter) weiß ich: Erst ab ca. 30 Jahren haben wir die Reife für ein Bewusstsein der sogenannten Mutterthemen - und für die konstruktive Bearbeitung. Denn erst in diesem Alter – und in den Jahren, die noch folgen – können wir unsere Mutter differenziert betrachten, unserem Blick die Schärfe nehmen: Einige von uns haben sich bis dahin selbst mit dem Thema „Mutter werden“ beschäftigt. Einige von uns sind bereits selbst Mutter geworden und haben die Möglichkeit, das Muttersein ganz praktisch zu erfahren.


Muttersein und die Schuldfrage


Die Mutter als Mensch mit Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen sehen, sie als eine vom Leben geprägte Frau, als eigenständige Persönlichkeit wahrnehmen, das Bemühen den eigenen Kindern eine gute Mutter zu sein ringt uns Verständnis und Respekt ab. Der Wunsch nach Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bleibt jedoch davon unberührt und will erfüllt werden. In der Beratung kommt daher früher oder später die Schuldfrage auf den Tisch. Darf ich mich so verhalten? Es ist doch meine Mutter! Wieviel Selbst darf sich eine Tochter zugestehen, ohne die Mutter zu verletzen - und ohne sich schuldig zu fühlen? 


Die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen um die Zuneigung und Wertschätzung der Mutter nicht zu verlieren, ist keine Lösung: In ihrem Ratgeber Mütter sind eben Mütter gibt die Autorin Claudia Haarmann ein Gespräch mit dem Neurobiologen Gerald Hüther wieder. Er stellt fest: Kinder, die die Erfahrung machen mussten, dass sie entweder wachsen konnten, aber nur auf Kosten der Verbindung, oder dass sie verbunden waren, aber nur auf Kosten ihres Bedürfnisses auf Wachstum, leiden Mangel. […] Das Ergebnis ist: Sie brauchen Notlösungen.


Ei oder Henne?


Notlösungen und das in ihnen wohnende Konfliktpotenzial sind also unvermeidlich, wenn die Tochter nicht kann, nicht darf, wie es ihrer Natur entspräche. Claudia Haarmann selbst ergänzt: Es geht nicht um Schuld. […] Wo ist das Ei, und wo die Henne? Mit anderen Worten: Eine Mutter, die ihrem Kind keinen Raum zur Entfaltung lässt, engt sie ein. Ein eingeengtes Kind wird das Verhalten der Mutter früher oder später hinterfragen und sich, je nach Persönlichkeitsstruktur, von ihr befreien wollen. Die aus dem Versuch der Befreiung entstehenden Konflikte sind also quasi vorprogrammiert - und damit auch vorhersehbar.


Als intensivste zwischenmenschliche Beziehung birgt die Mutter-Tochter Beziehung auch das größte Lernpotenzial – für beide Seiten. Mütter, die sich im Konflikt mit ihren Töchtern befinden, sind daher dazu aufgerufen, sich auf die Suche nach ihrem Anteil am Geschehen zu machen. Biographiearbeit und Familienaufstellungen leisten hier wertvolle Hilfe – für eine gelungene Ablösung mit gegenseitigem Respekt und Annehmen des anderen in seinem So-Sein.



Buchtipp

Mütter sind eben Mütter. Was Mütter und Töchter voneinander wissen sollten von Claudia Haarmann ist 2019 im Kösel-Verlag erschienen, hat 321 Seiten und kostet 16,99 Euro (Paperback).

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